veröffentlicht auf www.gaultmillau.at am 05.03.2020
Nach dem Kosmos der Pilze widmet sich Heinz Reitbauer nun akribisch einer neuen Thematik, dem Apfel. Wir baten ihn um ein Interview. Credit: Philipp Lipiarski, www.goodlifecrew.at
5-Haubenkoch Heinz Reitbauer ist dafür bekannt, dass ihm keine Arbeit zu viel ist und er sich in unterschiedlichste Materien akribisch einarbeitet. Allem voran aber damit, dass er keine halben Sachen macht. Strebsam und immer auf der Suche nach einer neuen Herausforderung sind nur zwei Attribute, die die Kulinarik-Koryphäe Reitbauer beschreiben.
Wer einmal bei ihm in seinem Fine-Dining Restaurant „Steirereck“ in Wien als Gast war und gar die Möglichkeit erhalten hat, den einen oder anderen Blick in die Küche zu erhaschen, dem wird bei seinem Besuch sehr schnell eine Sache klar: Heinz Reitbauer lebt für das, was er tut, er ist passioniert und steht mit Herz und Seele in seinem Beruf. Allen voran aber schätzt er die Produkte, mit welchen er arbeitet. Und das von Haut bis Haar, von der Schale bis hin zum Kern.
Während sich der 5-Haubenkoch vergangenes Jahr noch voll und ganz dem Kosmos der Pilze gewidmet hat, verspricht das Jahr 2020 bereits ein neues Projekt. In enger Zusammenarbeit mit den besten Experten und Pomologen des Landes, darunter auch Mag. Alois Wilfling, GF des Instituts für angewandte Ökologie und Grundlagenforschung, holt Reitbauer den Apfel mit all seinen unterschiedlichen Aromen, Ausprägungen und Arten vor den Vorhang und arbeitet sich – wie kann es auch anders sein – detailverliebt in die Welt der Kernobstgewächse.
Welche Geschichte Heinz Reitbauer mit dem Thema Apfel verbindet, wie er es schafft bei all den unterschiedlichen Sorten den Überblick zu bewahren und was ihn dazu bewegt, den einen oder anderen eingeschränkten Blickwinkel seiner Gäste zu erweitern, erfahren Sie hier.
G&M: In einem Interview mit „Die Presse“ zum im Mai 2019 verliehenen Eckart-Witzigmann-Preis in Wien haben Sie bereits davon gesprochen, dass es unter anderem beim Thema Apfel „noch viel zu tun gibt“. Bis vor kurzem haben Sie sich voll und ganz dem Pilz gewidmet und es damit geschafft, spektakuläre Einblicke in den Pilz-Kosmos zu ermöglichen.
Welche Geschichte verbindet Sie mit dem Thema Apfel?
H.R.: Der Apfel steht in seiner vollendeten runden Form für die Welt. Seit Adam und Eva steht er kulturell im Mittelpunkt. Pomologisch und kulinarisch gehört die Vielfalt von ehemals etwa 2.000 Sorten in Österreich zum unendlichen Potenzial unserer Heimat. Von A, wie Adersleber Kalvill, bis Z, wie Zuccalmaglios Renette ...
G&M: Wo sehen Sie die Gründe darin, dass der Apfel zwar ein national sehr geschätztes und beliebtes Produkt ist, er aber selbst als facettenreiches Produkt zu wenig oder zu einseitig auf die Bühne bzw. den Teller geholt wird?
H.R.: Es liegt an einer Verengung im Bewusstsein. Angesichts von 5-6 Sorten im Supermarkt ist den meisten überhaupt nicht mehr bewusst, welche Vielfalt an Sorten und Geschmacksrichtungen vorhanden sind. Abgesehen vom stark differierenden Säure-Zucker-Gerbstoff-Spiel, übersteigt es beinahe unser Vokabular, all die Nuancen in den verschiedenen Würzen und sortentypischen Noten zu benennen. Hier braucht es ein intensives Lernen in enger Zusammenarbeit mit erfahrenen Pomologen.
G&M: Apfel ist nicht gleich Apfel – so viel steht fest. Jede Sorte hat andere Eigenschaften und, so wie beim Menschen auch, harmoniert nicht jeder Charakter mit dem des Anderen. Wie schaffen Sie es, bei all den unterschiedlichen Apfel-Charakteren den Überblick zu behalten?
H.R.: Es braucht Deskriptoren. Für jeden einzelnen Apfel verwenden wir 93 sogenannte Deskriptoren, also Beschreibungsmerkmale. Mitunter ähneln sich 2 Sorten scheinbar bis auf Details, doch in einem Merkmal unterscheiden sie sich ganz klar. Dies ist manchmal eine besondere und einzigartige Geschmacksnote.
G&M: Haben Sie eine Lieblingsapfelsorte und wenn ja, welche?
H.R.: Die Holzäpfel haben es mir ganz besonders angetan. Hier ist ja mitunter fast jeder Baum seine eigene Sorte. Die adstringierenden Noten der gerbstoffreichen Früchte lassen in der Küche ungeahnte Möglichkeiten zu. Und grundsätzlich kann man auch festhalten, dass Früchte von einem alten Hochstamm-Baum geschmacklich den jüngeren, niedrigstämmigen Bäumen überlegen sind.
G&M: Es gibt unzählige Möglichkeiten, einen Apfel weiter zu verarbeiten. In welcher Form kommt Ihrer Meinung nach der ursprüngliche Geschmack des Apfels am besten zur Geltung?
H.R.: Wenn Sie bewusst die Sorten-Typizität in den Fokus rücken möchten, wäre z.B. ein Entsaften des Apfels, mit Schale & Kerngehäuse, sowie eine nicht erhitzte Weiterverarbeitung als Sorbet ein geeignetes Mittel dafür.
G&M: Zu Mittag haben Sie aktuell in Ihrem Restaurant Steirereck den Apfel in ein á-la-carte-Gericht unter den Namen „Streuobst mit Mandel, Steinklee und Fenchelpollen“ eingebaut. Was dürfen Ihre Gäste hier erwarten?
Auch in der Meierei im Stadtpark spielt das Kernobstgewächs eine Rolle: Streuobst mit Mandeln, Credit: Steirereck
H.R.: Bei diesem Gericht stellen wir bewusst die geschmackliche Diversität der einzelnen Sorten in den Mittelpunkt. Hier geht es primär darum, unseren Gästen die geschmackliche Bandbreite der einzelnen Sorten bewusst zu machen. Jeder Gast wählt, nach einer Verkostung, aus 6 verschiedenen Streuobst-Sorten seine Wunschsorte aus, aus welcher wir anschließend seine Nachspeise zubereiten. Im heurigen Jahr haben wir hier so etwa 60 Sorten verarbeitet sowie besser kennengelernt. Gerade die gerbstoffreichen, säurebetonten Früchte haben es uns besonders angetan.
G&M: Gerade während der kühleren Jahreszeit greifen ÖsterreicherInnen bewusster zum Apfel. Welche 3 Aspekte, Tipps oder Tricks möchten Sie diesen für Ihren nächsten Apfelverzehr ans Herzen legen?
H.R.: 1. Kaufen Sie alte Streuobstsorten direkt beim Bauern oder am Markt.
2. Essen Sie diese mit der Schale.
3. Ganz besonders gesund und spannend ist das Kernhaus.
Verkosten Sie bewusst die Apfelkerne. Im Mikrobiom von alten Streuobstsorten leben zahlreiche Bakterien, die auch aus gesundheitlicher Sicht absolut interessant sind, wie jüngste Forschungen an der TU Graz gezeigt haben. Streuobstsorten sind zudem für Allergiker ungleich viel besser verträglich als konventionelles Obst.
G&M: Und zu guter Letzt: Apfelstrudel mit oder ohne Rosinen?
H.R.: Für mich unbedingt „Mit“!
Mag. Alois Wilfling zählt zu den besten Pomologen des Landes und ist neben seinem Geschäftsführer-Dasein am „OIKOS“, dem Institut für angewandte Ökologie und Grundlagenforschung in Gleisdorf in der Steiermark, ausgebildeter Biologe, Mykologe (= Wissenschaftler von Pilzen) und Lichenologe (= Forschung von Flechten). Außerdem arbeitet er als
Credit: OIKOS wissenschaftlicher Illustrator.
Text & Interview: Franziska Ettmeier
Zum Originalartikel geht's hier.
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