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Autorenbildfranziska ettmeier

Experimentelle Gastronomie: Kunst trifft auf Kulinarik

Aktualisiert: 10. Dez. 2024

Aufregend, unkonventionell und facettenreich.


Originalartikel veröffentlicht auf www.gaultmillau.at am 10.10.2019



Am vergangenen Wochenende (5.–6. Okt. 2019) sorgte das von Jouw Wijnsma und Martin Kullik gegründete „Kunst-Kulinarik-KollektivSteinbeisser in Zusammenarbeit mit dem nicht nur national für Aufsehen sorgenden Kochtrio, der Healthy Boy Band (Lukas Mraz, Philip Rachinger & Felix Schellhorn), im Wiener Studio des österreichischen Künstlers Constantin Luser für ein Genusserlebnis der besonderen Art.


"Warum essen wir so, wie wir es tun, und geht es auch anders?"

Mit dieser Frage beschäftigt sich die von Steinbeisser initiierte Veranstaltungsreihe „Experimentelle Gastronomie“, die international und in Kooperation mit renommierten KöchInnen und KünstlerInnen die in der Gastronomie verankerten Verhaltensformen und -rituale durchbricht. Der Fokus soll stattdessen auf die Beziehung zwischen Geschirr und Besteck sowie deren NutzerInnen gelegt werden. Gleichzeitig soll das Event ganz im Sinne der Nachhaltigkeit stehen. Das Ergebnis des Abends: ein interaktiver Austausch mit Tischgenossen, hohe Achtsamkeit und unerwartete Herausforderungen, die auf spielerische Art und Weise ein Mehr-Gang-Menü in neue und unbekannte Dimensionen versetzen.

Wichtiger Punkt: Alle Speisen und Getränke besitzen ausschließlich rein pflanzlichen Ursprung, die Zutaten werden aus Demeter-zertifizierten Landwirtschaftsbetrieben und lediglich regional bezogen.

Ein Erfahrungsbericht, der mit Worten versuchen soll, ein derart erlebtes Spektakel widerzugeben und ans Herz zu legen.


Es ist ein kühler Herbstsonntag, die Uhr schlägt 18.00 Uhr und erste Gäste, darunter u. A. teilnehmende KünsterInnen wie Pia Groh und Erik Haugsby, Haubenkoch Max Stiegl sowie international anerkannte Foodblogger versammeln sich bereits vor den verschlossenen Toren des imposanten und etwas abgelegenen Studios und Areals von Künstler Constantin Luser. Die herrschende Stimmung zeigt sich noch etwas angespannt und verhalten, weiß niemand so recht, was einen genau erwartet und wie oder wo der Abend enden wird. Dass man sich bei der Kooperation der Healthy Boy Band und Steinbeisser auf einige Überraschungen und facettenreiche Aha-Erlebnisse einstellen sollte, war dahingegen vermutlich kein Geheimnis.

Schwarz, leger gekleidet und in musikalisch dunkler Begleitung einer Tuba zeigte sich das Trio von der anderen Seite des Tores und nach kurzem Mrazerischen‘ Schmäh folgte die Anweisung, sich in Zweier-Grüppchen zu sortieren und ihnen für einen adäquaten Trauermarsch zu folgen und damit das Fleisch für die nächsten anstehenden Stunden unter der Erde zu vergraben.

Trauermarsch zu Ehren des Fleisches, das für diesen Abend begraben wurde.


Den Aperitif reichte man aus dem Fenster eines parkenden Autos, zum Aufwärmen loderte ein kleines Feuer und irgendwie sorgte bereits dieses unkonventionelle Ambiente und Get-Together von Gastgebern und Gästen für lockere Stimmung und Gespräche, teilweise wirkte es fast so, als wäre man bei guten Freunden zum Essen eingeladen. Bierbänke und -tische sorgten für einen unkomplizierten und gemütlichen Sitzbereich, im Service agierten Mütter und Schwestern des Koch-Trios.


Lockere Stimmung im Studio von Künstler Constantin Luser.


Die ersten Happen mit einem Dreierlei aus Kürbis ließen die Handschrift von Lukas Mraz erkennen, die seinem Motto „Alles darf, bitte mit scharf“ Folge leisteten. Angerichtet auf den individuell und in Handarbeit designten Löffeln gelang es bereits diesem Gang, das Essen durch den benötigten Austausch mit seinen Tischnachbarn auf unerwartete Art Weise zu verändern.

Mit viel Spaß und Aufmerksamkeit genießen die Gäste ihr Menü auf den individuell und in Handarbeit designten Stücken.


Die am Stahlrost gegrillten Tomaten (Tomate X.0.) mit rauchigem Aroma ließen gebratenen Speck und seine Freunde weit im Schatten stehen, die Karotte vom Würstlstand und der vegane Schweinsbraten mit Kümmelnote sorgten für eine spielerische Umsetzung pflanzenbasierter und traditioneller Speisen. Auch der Quittenkäse, bestehend aus Agar-Agar mit Ringelblumen und Heu, eröffnete ein Gaumenmanifest, das mit subtil wirkenden Zutaten eine ausgetüfftelte Aromabalance schafft. Dazu trank man von Felix Schellhorn eigens produzierten Cassis-Sirup mit Verbene, Sodawasser und um die Süße zu unterbinden, einen Schuss Essigsäure.


Quittenkäse mit Heu und Ringelblumen Tomate X.O.


Blickte man in die offene Küche, sah man, die drei Jungs haben Spaß an der ganzen Sache. Lachend und schelmisch wurde sich über den improvisatorischen Pass gebeugt und die nächsten Teller angerichtet. Es machte Spaß, ihnen zuzusehen und es machte Freude, so und in dieser Art zu konsumieren. Gute Stimmung zeigte sich auch bei den Gästen, die lachend und unterhaltend zusammensaßen, sich gegenseitig fütterten und mit teilweise angespannter Miene ihre bisher gekannten Geschmacksknospen hinterfragten.


Es muss eben nicht immer konventionell und starr sein, weder Fleisch noch Fisch oder sonstige tierische Erzeugnisse sind von Nöten, um derartige Genusserlebnisse zu schaffen.


Wer schreibt vor, dass ein Teller immer geradlinig und rein funktionell sein muss und sollte es nicht nur um „gutes Essen“, sondern um mehr viel mehr gehen?
Präferiere ich einen Abend in geselliger Runde in Kombination mit einem Mehr-Gang-Menü oder ziehe ich eine nichtssagende Smartphone-schauende Begleitung vor?

Fragen, die einem spätestens beim nach Hause gehen durch den Kopf schießen sollten. Derartige Veranstaltungen zeigen, wie wichtig es ist, auch einmal weit über den Tellerrand hinaus zu blicken.



UNSERE BEWERTUNG?

Wie unsere Bewertung zu diesem Event ausfalle, fragte Künstler und Gründer Michael Kullik noch am Ausgang. Nach intensivem Auseinandersetzen und Rücksprache-Halten mit „shitadvisor“ und „ORAL“ sind wir zu folgendem Ergebnis gekommen: Ein von Grund auf durchdachtes Projekt wie jenes sollte von „Faux&Millau“ nicht nur zehn Hauben bekommen, sondern zusätzlich einen Extrastempel ins Stempelbuch. Gratulation.

 

Die Healthy Boy Band: Woher kommt der Name und wer oder was steckt dahinter?

Lukas Mraz klärt auf


Die Healthy Boy Band in vollem Einsatz. .

_Healthy: Untermalt ihr gesundes Aussehen

_Boy: Soll auf die durch sie verkörperte zweite Kochgeneration in ihrer Familie verweisen.

_Band: Nicht nur das Kochen soll im Vordergrund stehen, viel wichtiger ist es ihnen zu verdeutlichen, wie sehr Gastronomie mit Kunst und Gesellschaft verflochten ist.

Die mit Hauben ausgezeichneten Köche Lukas Mraz (Mraz&Sohn, Wien), Philip Rachinger (Mühltalhof, Neufelden) und Felix Schellhorn (Der Seehof, Goldegg am See) haben sich 2016 auf dem bekannten Koch-Kunstfestival Gelinaz! kennengelernt und verkörpern die jugendliche „Healthy Boy Band“. Als diese ist es ihnen ein Anliegen zu verdeutlichen, wie sehr Gastronomie mit Kunst und Gesellschaft verflochten ist. Großes Anliegen ist es ihnen, die veralteten und starren Sichtweisen im deutschsprachigen Raum aufzuheben und zu animieren, sein Denken über Essen und Restaurants zu erweitern, als auch aufzufrischen.


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Fotocredits: Thomas Albdorf

Text: Franziska Ettmeier, Originalartikel unter: https://at.gaultmillau.com/news/experimentelle-gastronomie-kunst-trifft-auf-kulinarik

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